Musik, Poesie und Kunst, die nicht funktionieren wie das rote Tuch des Matadors, regen mich auf.

Es geht um die sekunden vor genau diesem moment.


DAS HIER UND JETZT. meiner ansicht nach reicht es aus zu sagen, dass das image des roten tuches – la muleta – eine der zentralen schablonen für meine persönliche ästhetik ist. das rote tuch ist der trick – sowohl für den matador als auch für den illusionisten oder den musiker. es geht um focus, richtung, irritation, stimulus und verlockung. um schnelligkeit, erfahrung, übung und kontrolle. aber auch um vielseitigkeit, dialog, improvisation und präsenz. hauptsächlich geht es um exakt diesen augenblick. auf ordentlich frustrierende weise ist das rote tuch immer 'sekunden vor dem jetzt’ (für den praktiker) irgendwo anders 'sekunden vor dem jetzt’ (für den hörer), und irgendwo dazwischen fliesst die musik dahin, provokant und gefüllt mit versprechungen – mit nichts als luft dahinter! (wie konnte das geschehen? wieso auf diese weise? wie wurde es zu dem, was es ist?)

DER TRICK.
der stich, der kontakt, der einblick, sie alle kommen stets aus der 'falschen richtung’, von innen, von dem einzigen ort, von dem man wusste, dass er leer war (was ich meine ist, dass der tödliche stoss des matadors, der unvorhergesehene einblick oder die schwindel erregende neue perspektive des instinkts nicht herbeigeführt werden könnten, wenn man der zeit voraus all die 'wos’, 'wanns’ und 'wies’ in der musik darlegen könnte). wer sieht also durch wen? sowohl der musiker als auch der zuhörer leben in dem vertrauen darauf, dass der jeweils andere direkt hinter dem roten tuch bereit steht; und beide vergessen – und müssen vergessen –, dass natürlich die musik (oder das rote tuch) der trick ist.

ROT (RÖTE). die farbe rot ist universell. sie bewahrt ihre eigenen grenzbereiche und ihre eigene substanz. man findet warnhinweise, stopp-zeichen, das herz und die entzündung. das rote banner des sozialismus, sowie das ziel, den nippel das blut und die liebe. hass, leid, lust und provokation. aber es findet sich auch eine wesentlichkeit ohne symbole. diese rote farbe grenzt sich selbst mittels ihrer substanz ab: weder 'dehnt sie sich aus’, noch 'schrumpft sie’, sie bildet sich eher selbst ab und etabliert sich.

IRRITATION. all jene komponisten und musiker, die ich höre (xenakis, brötzmann, scelsi, merzbow, nono, braxton, lachenmann, bailey & shapira) haben eine musikalische sprache gemeinsam, die eine gewisses mass an unnachahmlichen exzentrizitäten beherbergt und umarmt – stilistische merkmale, die mich dann und wann wütend machten – aber ohne diese 'verunreinigungen’ wäre die musik zusehends schlechter. der trick würde nicht funktionieren, und der hörer würde im anschluss an einen kurzlebigen triumph wie dem avslöjande agent ein gefühl der leere erfahren, alleine in der arena mit nichts als einem bedeutungslosen roten tuch. ohne neue beobachtungen irgendwelcher art gemacht zu haben.

BEWEGUNG. das schwierigste. das rote tuch in bewegung zu halten. es ist ein akt der strategienfindung, damit die niedergeschriebenen 'sekunden vor dem gegenwärtigen moment’ in eine musik aus unzähligen 'jetzt-jetzt-jetzt-positionen’ münden, die der hörer als plötzlich erlebt, als 'sekunden-nach-dem-jetzt’. es erscheint beinahe unmöglich, solche strategien auf anständige art und weise zu beschreiben, ohne bei nonsense-artigen paradoxen anzukommen (abwesende anwesenheit, die weisheit nicht zu wissen, unkontrollierte gewissheit). aber man muss sich ein ziel für seine durchführung der komposition setzen, selbst wenn die richtung – falls sie in ordnung ist – schlussendlich einer anderen richtung folgt. ich denke, flexibilität (mobilität) muss sowohl im kopf des musikers/komponisten als auch in der kommenden musik existieren. das sich bauschende rote tuch – la muleta – eine höllische provokation und voller versprechen.





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